Lass uns spielen, aber warum?

Sogenannte Let's play-Videos locken Millionen Jugendliche und junge Erwachsene zu Youtube. In den Videos sieht man andere Jugendliche und junge Erwachsene, die Videospiele "zocken" und sich dabei filmen - und damit extrem erfolgreich sind. Tatsächlich sind, wenn ich richtig gezählt habe, fünf der fünfundzwanzig meistabonnierten deutschen Youtuber, in erster Linie Let's-player. Das Portal Twitch.tv hat das Let's play auf Youtube in die Echtzeit verfrachtet. Seit dem Jahr 2011 kann man Leuten beim Videospiel zuschauen, während sie es spielen. Ein Konzept, das Amazon im Jahr 2014 für fast eine Milliarde Dollar abgekauft hat. "Jemanden beim Videospielen zuschauen?", das deutsche Feuilleton ist überfordert, "was soll das?".

Das erste Let's play, dass ich gesehen habe, war Teil des Computerspiels "FIFA 06". Der Fußballprofi Lukas Podolski war damals auf dem Cover der deutschen Ausgabe zu sehen. Teil des Bonusmaterials des Spiels war ein Interview mit Prinz Poldi, das geführt wurde, während er auf einer Playstation FIFA (05? 06?) spielte. Hierbei werden abwechselnd Poldi beim Spielen auf dem Sofa, Poldi beim Bolzen auf dem Sportplatz und das Fernsehbild mit dem Videospiel gezeigt. Weder das Interview, noch das Spiel ist besonders spektakulär. Trotzdem hatte es offensichtlich solch eine Wirkung auf mich, dass ich mich 12 Jahre später noch immer daran erinnere. Obwohl es hier weniger um den Spaß von Lukas Podolski oder das längerfristige Zuschauen Poldis beim Spielen geht, als viel mehr um die Werbung für das Spiel.

Ich schaue regelmäßig Let's plays auf Youtube oder Twitch. Meistens geht es mir um Spiele, die ich selbst mal gespielt habe, oder Spiele, die ich immer spielen wollte, für die ich aber nie die Zeit gefunden habe: Pokémon, Super Mario, Pathologic, Deus Ex, Zelda, ... Bei Letzteren geht es um die faszinierende Story, die die Spiele transportieren. Gute Spiele, auch von jemand anderem gespielt, können genauso unterhaltsam sein, wie ein Spielfilm oder ein Buch. Bei Super Mario und Pokémon geht es eher um denjenigen, der das Spiel spielt. Das Spiel wird hier zur Nebensache. Viel spannender sind die Diskussionen zwischen dem Spieler und dem Publikum, dass per Chat Fragen stellen und Standpunkte vertreten kann. Selten geht es um hohe Politik oder gar Hochkultur. Debatten um Ananas auf Pizza, Namen für den Nachwuchs, Mützen oder Game of Thrones, sind für mich oft Unterhaltung genug - zumindest am Feierabend.

In der Einleitung habe ich behauptet, dass die Feullietonisten sich fragen, was das ganze Let's-play-Zeug eigentlich soll. Das habe ich von dem Feullietonisten meines Vertrauens gehört, aber auch von, dem von mir eigentlich sehr bewunderten, Denis Scheck. Scheck ist Literaturkritiker und hat eine monatliche Literatursendung in der ARD. Kürzlich hat er ein Buch von Palluten, einem mir unbekannten Let's player, vorgestellt. Dort hat Scheck das Genre Let's play sehr bildlich zu einer ausgelebten Form des Narzissmus erklärt. Ich denke, dass das der Sache nicht gerecht wird, Herr Scheck.

Aber zurück zur Frage. "Was soll das Ganze?" Ich habe oben zwei Gründe genannt. Genauso könnte man sich fragen: Warum schauen wir "Wer wird Millionär"? Ich denke, die beiden Gründe von oben lassen sich hier ebenfalls anwenden. Manche finden den Jauch prima, andere rätseln gerne mit. Letzteres ist unabhängig davon, ob sie auf dem Stuhl sitzen und Geld gewinnen können oder nicht.

Speziell bei Let's plays wird manchmal ein "großer Bruder"-Effekt erwähnt. Früher hat man den großen Geschwistern beim Videospiel zu gesehen. Nun gibt es Leute ohne ältere Geschwister, die gerne Videospiele spielen. Warum soll man nicht online der großen Schwester oder dem großen Bruder einer anderen Person beim Videospiel zuschauen?

Damit beende ich diesen Blogartikel. Ich spiele jetzt mal ein wenig Super Mario Bros. 3 und höre dazu "Grass - Die Blechtrommel", gelesen vom Autor. Ich werde mich dabei nicht filmen, aber garantiert sehr viel Spaß haben. Haters gonna hate, but I like it.

Kommentare

  1. Zur Frage "Was soll das Ganze?" passt meines Erachtens am besten die Gegenfrage: "Warum schauen wir uns Sport im TV an?" oder "Warum schauen wir uns Zusammenfassungen von Sportwettkämpfen an?". Dort sind uns persönlich fremde Personen damit beschäftigt, ihrem berufsmäßigen Hobby/ hobbymäßigen Beruf nachzugehen und dabei möglichst gute Leistungen zu zeigen. Und trotz dieser objektiven Distanz schauen wir es, weil wir interessiert sind, auf dem Laufenden bleiben möchten oder schlicht Unterhaltung suchen.Genau wie bei Gaming-Streams uns Let's Plays, nur dass dort Leistung auf virtueller Ebene gebracht wird.

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    1. Ein amerikanischer Let's player hat mal in seinem Stream davon erzählt, wie seine Mutter reagiert hat, als er ihr erklärt hat, was er da macht. Sie konnte es absolut nicht verstehen. Während dem Gespräch lief der Fernseher, es kam "The Price is Right" (="Der Preis ist heiß"), eine Gameshow.

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