Quantenphysik in der Homöopathie?

Kürzlich war ich zu Besuch bei meinem Bruder in Berlin. Ich nahm den ICE Sprinter vom Münchner Hauptbahnhof und saß neben einem Herrn mittleren Alters. Wir kamen ins Gespräch, er Chemiker und Diplom-Kaufmann, arbeitet in der Kosmetikbranche. Er hält den Pharmamarkt für zu stark reguliert und ist ein Verfechter der Homöopathie. Sie wirke zwar nicht bei ihm, aber bei vielen anderen Leuten, die er kenne. Ich argumentierte, dass nach wie vor wissenschaftliche Evidenz dafür fehlt, dass die Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus wirke. Evidenz bedeutet hier: klinische Studien und Replikationen dieser. 

Eine Grundidee der Homöopathie ist die Folgende: Man solle Ähnliches mit Ähnlichem behandeln, nur sehr stark verdünnt. Der Erfinder Dr. Samuel Hahnemann (1755-1843) kam zu diesem Schluss, als er zu bemerken glaubte, dass man mit Chinarinde einerseits Malaria behandelt, dass Chinarinde aber auch ähnliche Symptome wie Malaria hervorzurufen schien (er täuschte sich darin allerdings grundlegend). Dieses Prinzip extrapoliert auf sämtliche Bereiche der Medizin ergibt dann eine Vorschrift, wie sich einzelne Krankheiten mit Substanzen behandeln lassen, die grundsätzlich dieselben Symptome hervorrufen können. Eine Idee, für die, nach wie vor, medizinische Evidenz fehlt. Weiterhin sollen Homöopathika stärker wirken, wenn sie stärker verdünnt, bzw. potenziert, sind. Bei richtig "starken" Homöopathika lassen sich Moleküle der Ausgangssubstanz nicht mehr nachweisen. Teilweise handelt es sich hier um eine Mischungsrelation von einem Sandkorn im Bodensee.

Ich fragte meinen Diskussionspartner im Zug, wie er sich als Chemiker die Wirkung der Homöopathie erkläre. Es gebe schließlich keine pharmakologischen Substanzen, die pharmakologisch wirken könnten. Er - und das habe ich auch von anderen gehört, zum Beispiel in diesem Artikel im deutschen Ärzteblatt, siehe [2] - berichtete mir von Quanteneffekten, die die Information der Substanz an das Wasser übertragen. Man könne zum Beispiel auch zwei geschlossene Wasserflaschen außen unterschiedlich beschriften und Effekte des Wortes im Wasser entdecken. Ich habe das dann nicht weiter infrage gestellt.


Globuli treffen auf einen Doppelspalt? Das meinen Homöopathen sicherlich nicht, wenn sie über Quanteneffekte in der Homöopathie sprechen. Witzig ist es trotzdem.


Was haben Homöopathie und esoterische Heilmethoden (auf Letztere komme ich später im Text kurz zurück) mit Quantenphysik zu tun? Vermutlich nicht mehr, als die normale Medizin auch. Das ist eine ganze Menge - die Quantenphysik ist immerhin Grundlage vieler physikalischer Vorgänge. Das ist aber nicht die Frage, sondern: Gibt es Quanteneffekte, die in der Homöopathie zur Heilung führen, die in der Schulmedizin nicht auftreten? Gibt es zum Beispiel einen Quanteneffekt, der die Information des Chinarinde-Moleküls an das Wasser überträgt, in dem sie verdünnt wird, und der später diese Information an den Körper abgibt und ihn damit heilt? Nach aktuellem Forschungsstand gibt es diesen nicht. Denn, einen solchen Effekt, ob auf Quantenebene oder nicht, könnte es ja nur geben, wenn man tatsächlich feststellen könnte, dass die Homöopathie einen Patienten heilt. Dafür fehlt jedoch nach wie vor die wissenschaftliche Evidenz. Als Reaktion auf den o. g. Artikel [2] erschien übrigens dieser Leserbrief, siehe [1], der die quantenphysikalische Argumentation kritisiert.

Was soll das Quantengespräch? 

Mich hat das Ganze an die beiden Labormäuse Pinky und (der) Brain aus Steven Spielbergs gleichnamiger Zeichentrickserie erinnert. Der ultraschlaue Brain und sein tollpatschiger Kollege Pinky hecken Nacht für Nacht neue Pläne aus, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. In Staffel 1 Folge 2 möchten die beiden für ein verrücktes Projekt an Geld kommen, in dem sie sich von einem Konzern einstellen lassen und dort einen Arbeitsunfall vortäuschen, der irgendwie mit Kaffeeweißer (eigentlich: non-dairy powdered creamer) und einer Mikrowelle zusammenhängt. Dann würde man den Konzern auf Schmerzensgeld verklagen. Die Idee: Da niemand weiß, wie Kaffeeweißer und Mikrowellen funktionieren, könne kein Experte diesen Arbeitsunfall erklären, was die Klage sicher zum Erfolg führen würde. Dieser Trick klappt tatsächlich vor Gericht, der Experte erklärt zwar, wie eine Mikrowelle funktioniert, der Kaffeeweißer überfordert ihn aber massiv. Den Prozess verlieren die beiden trotzdem, da Brain nicht nachweisen kann eine Maus zu sein. Somit muss Brain sich für die nächste Nacht einen neuen Plan überlegen.

Pinky und der Brain haben hier Kaffeeweißer und Mikrowellen verwendet, um jegliche kritische Nachfrage nach dem Unfallhergang im Keim zu ersticken. Kaffeeweißer und Mikrowelle stehen für zwei Produkte, deren Funktionsweisen sich dem allgemeinen Bürger nicht erschließen. Kaffeeweißer ist ein Pulver, welches aus einem Kaffee einen Milchkaffee macht. Das "non-dairy" im amerikanischen Original sagt zudem noch aus, dass der Kaffeeweißer laktosefrei ist - also sogar noch obskurer. Eine Mikrowelle verwendet Mikrowellen, um Essen zu erhitzen. Für den Durchschnittsbürger auch eher schwierig nachzuvollziehen. Was passiert nun, wenn man diese beiden Dinge kombiniert?

Genauso erschließt sich dem Durchschnittsbürger auch die Quantenphysik nicht: In der gymnasialen Oberstufe lernt man Grundprinzipien der Quantenphysik im Physikunterricht kennen. Wenn man Physik vorher abwählt und sich nicht gerade für ein Physikstudium entscheidet, wird die Quantenphysik wohl eher unbeachtet an einem vorbeiziehen. Die Quantenphysik steht für den Durchschnittsbürger also für eine komplizierte Sache, die man nur versteht, wenn man unendlich clever ist. Diskutiert man nun mit jemandem und er sagt: "Das basiert auf physikalischen Effekten auf Quantenebene" so gibt er einem zu verstehen: "Das ist kompliziert und wir beide verstehen nicht genug davon, um darüber weiterzusprechen." Der Quantenphysik-Hammer beendet damit beliebige Diskussionen, genau wie das bei Pinky und Brain die Mikrowelle und der Kaffeeweißer gemacht haben. 

Ein weiteres Beispiel für die Verwendung des Quantenphysik-Hammers kennen die regelmäßigen Zuschauer von Astro-TV: Die Atlantis Matrix Quantenheilung(R). Eine kurze Zusammenfassung gibt hier zum Beispiel der großartige Oliver Kalkofe.

Schließen wir den Kreis. Ich hatte mich in meinem Gespräch im Zug auch von dem Quantenphysik-Hammer erschlagen lassen. Genau genommen hatte ich mir selbst eine Falle gestellt, weil ich nach der pharmakologischen Wirksamkeit gefragt habe. Eine Erklärung dieser kann aber nur stattfinden oder eingefordert werden, wenn tatsächlich eine (pharmakologische) Wirksamkeit besteht. Dafür fehlt jedoch die wissenschaftliche Evidenz.

Referenzen
[1] Klimm (2003) Homöopathie Homöopathie, ein Quanteneffekt?, Dtsch Arztebl International 100(25): A-1735.
[2] Richter-Kuhlmann (2003) Homöopathie: Keine Erfahrungsheilkunde, sondern Naturwissenschaft, Dtsch Arztebl International 100(17): A-1106.

Kommentare

  1. Die Unplausibilität fängt schon viel früher an, da brauch man die Quantenphysik gar nicht erst bemühen - das ist mein Killerargument gegen Homöopathie:

    Homöopathie ist logisch widerlegt, sogar unter der falschen Annahme, dass die „Potenzierung“ funktionieren würde:

    Die "Potenzierung" wird mit gereinigtem/destilliertem Wasser und Ethanol durchgeführt.

    In Wasser (auch destilliert) sind von Natur aus allerhand Stoffe in einer Konzentration enthalten, die in der Homöopathie niedrigen einstelligen Potenzen entsprechen. Arsen beispielsweise in C4 bzw. D8 nebst allerhand anderen Mineralien und Schwermetallen. Außerdem ist in Wasser garantiert das gesamte Periodensystem der Elemente bis D22 enthalten. Sprich: mindestens ein Atom eines Elementes.

    Wie soll die "Potenzierung" eigentlich wissen, dass sie nur die Urtinktur "potenzieren" soll und nicht die anderen Stoffe im Wasser gleichberechtigt?

    Und wie stellt man eigentlich "arsenicum album C30" her, wenn bei jedem Schritt neues "arsenicum album C4" aus dem Trinkwasser hinzugemischt wird?

    Der logische Schluss wäre, dass man _jedes_ homöopathische Mittel C30 einheitlich mit "Periodensystem C15-C30" beschriften müsste.

    Man kann sich die ganzen Anekdoten, Studien, Kritik am Placeboeffekt usw. sparen, weil man _weiß_, dass die propagierten Mittel so gar nicht herstellbar sind.

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