Zählen lernen: Bijektion oder nicht?

Über die Osterfeiertage war ich bei meiner Familie, unter anderem auch bei meiner Patentante und ihren Kindern; meinen Cousins Levi (3) und Julius (1). Ich habe Levi vor geraumer Zeit ein Spiel geschenkt, mit dem man Zählen und Zahlen lernen kann. Das Geschenk war ohne Hintergedanken. Angekommen ist es in etwa so stereotyp, wie die Elektrobaukästen, die früher von meinem Patenonkel bekommen habe -  er ist Diplom-Elektroingenieur. Manche Verhaltensweisen bleiben wohl in der Familie. Haha.

Vom Osterhasen (nicht in meiner Inkarnation, sondern in der unserer gemeinsamen Oma) hat Levi nun ein anderes Zahlen-Lernspiel bekommen. Ich habe das Spiel dann gleich mit ihm gespielt. Dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen:
  • Als großer Cousin war ich erstaunt und sehr stolz darauf, wie gut Levi schon Zahlen und Zählen kann.
  • Obwohl er größtenteils fehlerfrei zählt, macht er durchgehend einen bestimmten Fehler. Er zählt: 1, 3, 3, 4, 5, 6,...
Seine Mutter - meine Patentante - hat mir dann erzählt, dass sie schon diverse Versuche unternommen hat, ihm die Zahl "2" beizubringen. Unter anderem "zwo" statt "zwei", um die sprachliche Barriere zu erhöhen. Ohne Erfolg.

Es könnte einen spannenden mathematischen Hintergrund haben, dass es so schwierig für ihn ist, diesen Fehler zu überwinden: Die Abbildung zwischen den natürlichen Zahlen (unserem Zählsystem) und seinem Zählsystem ist nicht bijektiv.

Eine bijektive Abbildung oder Bijektion erfüllt zwei bestimmte Eigenschaften.
  1. Sie ist injektiv. Das heißt auf jeden Wert, auf den abgebildet werden kann, wird höchstens einmal abgebildet.
  2. Sie ist surjektiv. Das heißt, auf jeden Wert, auf den abgebildet werden kann, wir mindestens einmal abgebildet.
Ein Beispiel für eine Bijektion ist die Abbildung, die jeder Zahl ihren Wortlaut zuordnet:
1 ↦ eins
2 ↦ zwei
3 ↦ drei
...
Für jedes Zahlwort gibt es genau eine natürliche Zahl, von der aus auf dieses Zahlwort abgebildet werden kann. Damit ist diese Abbildung tatsächlich bijektiv.

Die wichtigste Eigenschaft einer Bijektion ist die Existenz einer Umkehrabbildung. Eine Umkehrabbildung ist im Grunde die Rückwärtsausführung der Abbildung. Bildet man von einem Wert auf einen Wert ab und steckt dann den anderen Wert in die Umkehrabbildung, so erhält man wieder den ursprünglichen Wert. Im o.g. Beispiel wäre das:

eins ↦ 1
zwei ↦ 2
drei ↦ 3
...
Ein anderes wohlbekanntes Paar sind Wurzel- und Quadratfunktion auf den positiven, reellen Zahlen. Auf der kompletten reellen Achse ist die Quadratfunktion gar keine Bijektion: 

(-1)² = 1 = 1²
Offenbar bilden -1 und 1 auf denselben Wert ab. Das ist übrigens auch der Grund, warum sich das "±" in pq-, Diskriminanten- und Mitternachtsformel befindet und seit Jahrhunderten Schüler in der gymnasialen Mittelstufe verwirrt.

Zurück zu Levis Zählsystem. Man kann von den natürlichen Zahlen auf sein Zählsystem abbilden:

1 ↦ 1
2 ↦ 3
3 ↦ 3
4 ↦ 4
5 ↦ 5
...
Diese Abbildung ist aber keine Bijektion - sie ist nicht injektiv. Auf die 3 wird von 2 und von 3 aus abgebildet. Und ich denke, dass macht es so schwierig für Levi die Zahl 2 zu lernen. Wenn die Reihenfolge vertauscht wird, dann könnte man ihm die richtige Reihenfolge erklären. Wenn völlig falsche Wörter benutzt würden, könnte man erklären, wie das eigentliche Wort heißt. In diesen beiden Fällen würde man dem Kind um Grunde die Umkehrabbildung erklären - also wie sie von ihrem Zählsystem auf das eigentliche Zählsystem kommen. Bei Levi gibt es aber keine Umkehrabbildung.

Fazit. Levi kann super zählen und der einzige Fehler, den er macht, ist mathematisch ziemlich interessant. Da bin ich doch gleich noch ein bisschen stolzer.

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