Instagram ist keine Dauerwerbesendung - tut aber so

Tagesthemen-Legende Ulrich Wickert verabschiedete sich  von der Mattscheibe am 31. August 2006. Dabei hat er sich dafür bedankt, dass die Zuschauer ihn 15 Jahre lang in ihrem Wohnzimmer empfangen, ertragen und vertraut haben. Empfangen meinte er sicherlich zweideutig. Natürlich empfängt man ihn, mittels Antenne, Satellitenschüssel oder Kabelverbindung. Aber man empfängt ihn auch, wie einen Gast, vor dem man auf dem Sofa sitzt. Außerdem wünschte er, dass sein Nachfolger Tom Buhrow, den Zuschauern ein "guter Freund" würde.

Das fand ich komisch. Ein Nachrichtenjournalsprecher ist doch kein guter Freund. Dafür ist er viel zu weit weg. Gerne würde ich mich einmal mit Ulrich Wickert über die SPD unterhalten. Oder mit Karen Miosga über den Club der toten Dichter reden. Aber das passiert nicht - muss es auch nicht. Ganz anders fühlt sich das auf Youtube und Instagram an. Die Person, die in aufwendigen Videos oder kurzen Clips (sog. Stories) aus ihrem Leben erzählt, wirkt da viel näher. Sie ist eine Person, die man so in der Schule, Arbeit oder Universität hätte kennenlernen können. Mit dieser Person geht man samstags tanzen und mittwochs bolzen. Außerdem gibt es eine bilaterale Kommunikation, zumindest fühlt es sich so an. Sie wird vorgespiegelt durch Kommentare, Reaktionen, Daumen hoch und Emojis. Man kommuniziert mit einer Person, die einem sympathisch ist und der man deswegen vertraut. Youtuber und Instagramer spielen die Rolle eines zentralisierten Freundes für Hunderte, Tausende, Hunderttausende, Millionen. Der "Influencer" ist dabei sicherlich mehr Freund als Tom Buhrow das jemals hätte können. Daraus resultiert automatisch ein starker Einfluss der Influencer auf seine Follower und damit einen signifikanten Anteil der Bevölkerung.

Das hat auch die Werbeindustrie bemerkt - bereits vor einigen Jahren. Was, wenn ein Influencer, nicht nur erklärt, wie man Nagellack aufträgt, sondern auch, welcher Nagellack der beste ist. Die Follower würden dies ja nicht nur von einer abstrakten Person in einem Werbefilm, sondern von einem guten Freund erfahren, dem sie vertrauen. "Native Advertising" heißt dieses Prinzip - "natürliche Werbung" und gilt als unglaublich effektiv. Das ist auch völlig in Ordnung, wenn das tatsächlich natürlich passiert: Jemand geht in ein Geschäft, kauft einen Nagellack, verwendet ihn, ist begeistert und erzählt davon begeistert auf Instagram.

Im "Influencer Marketing" läuft das meistens nicht natürlich. Influencer bekommen eine Provision, wenn jemand ihren affiliate Link oder affiliate Code verwendet. Ein Influencer postet ein Foto von einem Nagellack auf Instagram, erzählt es sei sein Lieblingsnagellack und gibt einen Link oder Code an, über den man einen gewissen Rabatt bekommt. Für jedes Nagellackfläschchen, das mit diesem Link/Code gekauft wurde, erhält der Influencer Geld. Topverdienerin Bianca "BibisBeautyPalace" Claßen (geb. Heinicke) könnte laut dem Managermagazin damit monatlich einen sechsstelligen Betrag einnehmen.

Für den Verbraucher ist absolut nicht egal, ob die Nagellack-Instragram-Story nun Werbung ist, oder die persönliche Meinung des Influencers darstellt. Während Ersteres am Ende ein Vertragspartner des Unternehmens ist, dessen Wörter in Gold aufgewogen werden, ist Letzteres der Freund in der Mensa, der mir einfach sagt, was er denkt. Welchen von beiden man vor sich hat, spielt eine große Rolle und Werbung muss als solche gekennzeichnet werden. Dass dies im Internet lange Zeit nicht oder nur wenig geschah, prangerte damals im Jahr 2015 der Moderator Jan Böhmermann in seiner Sendung Neo Magazin Royal an. Das hat sich mittlerweile geändert - die Medienanstalten haben angefangen, sich gegen Schleichwerbung bei Influencern zu wehren. Der hervorragende Philip Wallis hat Ende 2017 gar von einer Abmahnwelle berichtet. Diese ging zulasten vieler Influencer, die bisher den Unterschied zwischen Inhalt und Werbung nicht ernst genommen haben. In demselben Video erklärt Philip Walulis übrigens auch, was in welcher Situation als Werbung gekennzeichnet werden muss. Das Beispiel des Lippenstifts habe ich wohl von ihm unbewusst übernommen.

Ich mag Instagram. Die Retrofilter sind einfach spitze. Und ich mag auch die Community. Die Abmahnwelle hat ihre Wirkung gezeigt. Ganz selten sehe ich mal einen Post, der eindeutig Werbung beinhaltet, aber nicht so gekennzeichnet ist. Eigentlich, und das ist nach der sehr langen Vorrede, der eigentliche Inhalt dieses Artikels, geht es inzwischen ins andere extrem: Ich beobachte immer wieder Instagramer, bei denen "#Werbung" oder "#Anzeige" einfach unter jedem Post steht. Das ist insbesondere völlig unabhängig davon, ob es sich bei dem Inhalt tatsächlich um Werbung handelt oder nicht. Ich denke, es passiert oft unbewusst. Eingeschüchtert von einer unterschriebenen Unterlassungserklärung, persönliches Unvermögen zu erkennen, was Werbung ist, was nicht, vielleicht auf Rat eines Rechtsberaters. 

Das hat natürlich aber den gegenteiligen Effekt. Wenn überall Werbung steht, obwohl manche Posts nicht mal entfernt nach Werbung aussehen, erkennt man den "Werbung"-Hinweis auch nicht mehr als solchen an. Was man sieht, mag zwar als Werbung gekennzeichnet sein, wenn es aber nicht unbedingt Werbung ist, dann können wir ja wieder nicht unterscheiden, was Werbung ist, und was nicht. Native Advertising is back. Und wir sind wieder, wo wir 2015 gestartet sind: Werbung und Inhalt lassen sich nicht unterscheiden.

Ich mag Instagram. Instagram ist keine Dauerwerbesendung. Die meisten Influencer sind keine Litfaßsäulen. Mein Appell: Bitte lasst Euch gut juristisch beraten und kennzeichnet Werbung! Aber schreibt nicht Werbung irgendwo drauf, wo keine Werbung drin ist. Damit verkauft Ihr Instagram - und vor allem Euch selbst - weit unter Wert.

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